Nach oben

Riesenzecken in Deutschland gesichtet – wie hoch ist die Gesundheitsgefahr?

In Presse und Internet überschlagen sich Berichte über Gesundheitsgefahren, die von einer afrikanischen Riesenzecke ausgehen: Wahre Monster, die nicht darauf warten, dass zufällig jemand vorbeiläuft, sondern die ihre Opfer aus großer Entfernung riechen und anfallen. Mehrere Exemplare dieser vorher unbekannten Gattung wurden im trockenen Sommer 2018 in Deutschland gefunden. Was ist dran an den Warnungen der Wissenschaftler?

Um welche Riesenzecke geht es?

Tropische Zecke: Hyalomma MarginatumBei den im Sommer 2018 gefundenen Tieren handelt es sich um Zecken der Gattung Hyalomma. Ihren Namen, der griechisch Glasauge bedeutet, verdanken sie ihren großen Augen, mit denen sie ihre Opfer aus bis zu zehn Metern Entfernung ausmachen. Während unser einheimischer Holzbock (Ixodes ricinus) im Gras und Gebüsch wartet, bis ihn ein Opfer abstreift, folgen diese Tiere ihren Opfern aus bis zu hundert Metern Entfernung. Vom Holzbock unterscheidet sie außerdem ihre enorme Größe – mit bis zu zwei Zentimetern werden die Tiere fünfmal so lang wie die bei uns lebende Art. Vollgesaugt werden daraus echte Riesenzecken in Form von mehreren Zentimeter dicken Blutballons.


Sie bevorzugen ein trockenes und warmes Klima. Entgegen anderslautender Berichte kommt Hyalomma in den Tropen nicht vor, wohl aber im europäischen Mittelmeerraum wie Spanien, Südfrankreich, Norditalien und auf dem Balkan, des weiteren in Nordafrika sowie in West- und Mittelasien.

Hyalomma marginatum bekam seinen Namen von der lebhaften rot-orangenen Streifung seiner Beine. Die ausgewachsenen Tiere bevorzugen Huftiere wie Pferde, Schafe, Ziege und vor allem Rinder. Daher gelangen immer wieder vereinzelte Exemplare mit Viehtransporten in für sie fremde Gebiete. Menschliches Blut steht eher versehentlich auf ihrem Speiseplan.

Nicht ausgewachsene Nymphen und Larven finden sich vor allem auf kleinen, am Boden lebenden Säugetieren wie Kaninchen, Hasen oder Igeln, aber auch auf vielen Singvögeln und Zugvögeln. Auf letzteren halten sie sich während der Wanderungen in Frühjahr und Herbst bis zu einem Monat im Gefieder ohne herunterzufallen.

Mit dieser Art ist Hyalomma rufipes, die „rotfüßige“, sehr nahe verwandt. In Nordafrika handelt es sich um die am weitesten verbreitete Art ihrer Gattung.

Frühere Funde von Riesenzecken

Schon früher fanden sich vereinzelte Exemplare von Hyalomma an Zugvögeln, ohne dass diese Funde in der Presse in Erscheinung traten. Ein erstes Weibchen von Hyalomma marginatum wurde bereits 2006 gemeldet. Das erste Männchen stellte man 2015 bei Mainz auf einem Pferd sicher. In Tübingen erwischte 2017 jemand ein weiteres Exemplar auf seinem Hosenbein, wobei es sich vermutlich um ein Mitbringsel aus Spanien handelte.

Diese Tiere hatte man schon damals auf Krankheitserreger untersucht, ohne dass man dabei fündig wurde.

Was hat man aktuell gefunden?

Parasitologen der Universität Hohenheim und des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr (IMB) in München schlugen im Sommer 2018 in einer Pressemitteilung Alarm. Kurz hintereinander hatte man sieben Exemplare im Raum Osnabrück, Hannover und in der Wetterau in Hessen gefunden. Zwei davon sind ihrem Entdecker, einem Pferdebesitzer, beim Einsammeln entwischt. Die fünf anderen, die man auf einem Schaf und auf weiteren Pferden fand, konnte man bestimmen: Bei vieren handelte es sich um Hyalomma marginatum, beim fünften Exemplar um H. rufipes.

Als wären die sieben Riesenzecken auf einmal nicht schon genug, stellten die Wissenschaftler bei einem der Tiere unerwünschte Untermieter fest: Rickettsia aeschlimmannii, einen Erreger von Zecken-Fleckfieber.

Welche Krankheiten werden von den Riesenzecken übertragen?

Sind die von unserem einheimischen Holzbock übertragenen Erkrankungen Frühsommermeningoenzephalitis (FSME) und Borreliose schon unangenehm genug, sind die von Hyalomma weitergegebenen Infektionen von noch größerem Kaliber.

Die angesprochenen Rickettsia aeschlimmannii kennt man vorwiegend aus Nordafrika und in Deutschland nur vereinzelt als Krankheitserreger bei Afrikareisenden. Das von ihnen verursachte Zecken-Fleckfieber äußert sich zu Beginn der Erkrankung in unspezifischen, grippeähnlichen Symptomen, zu denen später Kopfschmerzen, Schüttelfrost, hohes Fieber und die für Fleckfieber typischen rotfleckigen Hautausschläge hinzukommen.

Verursacher des ebenfalls von Hyalomma übertragenen Krim-Kongo-Fiebers ist das CCHF-Virus. Dieses hat sein Reservoir in vielen grasfressenden Haustieren wie Kühen, Kamelen, Schafen, Ziegen oder Kaninchen. Eine Infektion verläuft teils symptomfrei oder mit nur wenigen Beschwerden. Oft treten jedoch hohes Fieber, Schüttelfrost, Muskel- und Gliederschmerzen sowie Übelkeit und Erbrechen auf. Hinzu kommt eine ödemartige Schwellung im Gesicht sowie Rötungen von Rachenschleimhaut und Bindehäuten. Bei hämorrhagischem Fieber bluten Patienten aus Magen-Darm-Trakt und auf der Haut, die Hälfte verstirbt an Multiorganversagen.

Zu ähnlichen Beschwerden führt das Arabische Hämorrhagische Fieber, hervorgerufen durch Alkhumra-Viren. Man kennt es aus Saudi-Arabien, wo Kamele und Schafe als Wirte dienen. Eine Übertragung erfolgt meist durch andere Zeckenarten, selten durch Hyalomma. Nach drei bis acht Tagen Inkubationszeit zeigen sich auch hier zunächst grippeartige Symptome mit Übelkeit und Erbrechen, oft mit Gelenkschmerzen, hämorrhagischem Fieber und Gehirnentzündungen. Die Letalitätsrate liegt hier bei rund dreißig Prozent.

Gibt das Auftreten der Riesenzecken Anlass zu Befürchtungen?

Hyalomma hat man immer wieder vereinzelt in Deutschland gefunden. Der trockene, warme Sommer bot den zeitweise mit Zugvögeln verschleppten Tieren ideale Lebensbedingungen. Wissenschaftler befürchten, dass eine weitere Klimaerwärmung den Tieren eine Ansiedlung in Deutschland ermöglichen könnte – inklusive mitgeschleppter Viren und Bakterien.

Von der Hand zu weisen sind solche Befürchtungen nicht, denn immer mehr Arten siedeln sich in den letzten Jahren in Regionen an, die ihnen früher viel zu kalt waren. In der dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet nur unwesentlich näheren Schweiz konnte man seit 1975 regelmäßig Hyalomma nachweisen.

Hyalomma marginatum war früher in der Türkei kaum zu finden, hat sich aber mittlerweile zu einer der häufigsten Zeckenarten entwickelt – so rund 85 Prozent aller Zecken, die man auf Rindern findet.

Das aus dem Mittelmeerraum stammende Ixodes inopinatum, ein naher Verwandter unseres einheimischen Holzbockes, hat sich mittlerweile bis nach Dänemark ausgebreitet. Auf Hunden finden sich immer öfter die Hundezecke Rhipicephalus sanguineus oder die Auwaldzecke Dermacentor reticulatus. Letztere überträgt die Hundemalaria (Babesiose) und die Pferde-Piroplasmose und trat früher nur in Ungarn, Österreich und Norditalien auf.

Schlimm genug: Immer mehr Fälle von Borreliose und FSME

In Anbetracht der Klimaerwärmung sollte man sich vor allem Sorgen um die bereits vorhandenen Zecken und von ihnen übertragenen Erkrankungen machen. Das Robert-Koch-Institut meldet bereits im Sommer 2018 deutlich mehr Fälle von Borreliose und FSME als im gesamten Vorjahr. Recht gut passt das zu der Erkenntnis vergangener Jahre, dass sich die Risikogebiete immer weiter nach Norden ausdehnen und inzwischen sogar die Innenstädte mit ihren Parks zu Gefahrengebieten werden.

Quellen, Links und weiterführende Literatur

1. Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 14.08.2018:
Tropische Zeckenarten: Mehrere Funde in Deutschland beunruhigen Fachleute.

2. tagesschau.de vom 14.08.2018:
Experten alarmiert: Tropische Zecke erreicht Deutschland

3. zdf.de vom 29.07.2018:
Vorhersage-Modell prophezeit: Der perfekte Zecken-Sommer.

4. Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung:
Wissenschaftler alarmieren: 2018 wird ein „Zecken-Jahr“.

5. Neue Züricher Zeitung vom 15.08.2018:
Hitze und Trockenheit begünstigen tropische Zeckenarten.

6. Chitimia-Dobler L, Nava S, Bestehorn M, Dobler G, Wölfel S:
First detection of Hyalomma rufipes in Germany.
Ticks Tick Borne Dis. 2016 Oct;7(6):1135-1138. doi: 10.1016/j.ttbdis.2016.08.008. Epub 2016 Aug 17. PMID: 27567111.

7. England ME, Phipps P, Medlock JM, Atkinson PM, Atkinson B, Hewson R, Gale P:
Hyalomma ticks on northward migrating birds in southern Spain: Implications for the risk of entry of Crimean-Congo haemorrhagic fever virus to Great Britain.
J Vector Ecol. 2016 Jun;41(1):128-34. doi: 10.1111/jvec.12204. PMID: 27232135 .

8. Rumer L, Graser E, Hillebrand T, Talaska T, Dautel H, Mediannikov O, Roy-Chowdhury P, Sheshukova O, Donoso Mantke O, Niedrig M:
Rickettsia aeschlimannii in Hyalomma marginatum ticks, Germany.
Emerg Infect Dis. 2011 Feb;17(2):325-6. doi: 10.3201/eid1702.100308. PMID: 21291625.

9. Raoult D, Fournier PE, Abboud P, Caron F:
First documented human Rickettsia aeschlimannii infection.
Emerg Infect Dis. 2002 Jul;8(7):748-9. PMID: 12095451.

10. Kampen H, Poltz W, Hartelt K, Wölfel R, Faulde M:
Detection of a questing Hyalomma marginatum marginatum adult female (Acari, Ixodidae) in southern Germany.
Exp Appl Acarol. 2007;43(3):227-31. Epub 2007 Oct 19. PMID: 17952610.

11. Dobler G, Wölfel R:
Typhus and other rickettsioses: emerging infections in Germany.
Dtsch Arztebl Int. 2009 May;106(20):348-54. doi: 10.3238/arztebl.2009.0348. Epub 2009 May 15. Review. PMID: 19547738.

12. Parola P, Paddock CD, Socolovschi C, Labruna MB, Mediannikov O, Kernif T, Abdad MY, Stenos J, Bitam I, Fournier PE, Raoult D:
Update on tick-borne rickettsioses around the world: a geographic approach.
Clin Microbiol Rev. 2013 Oct;26(4):657-702. doi: 10.1128/CMR.00032-13. Review. Erratum in: Clin Microbiol Rev. 2014 Jan;27(1):166. PMID: 24092850.

13. Parola P, Paddock CD, Raoult D:
Tick-borne rickettsioses around the world: emerging diseases challenging old concepts.
Clin Microbiol Rev. 2005 Oct;18(4):719-56. Review. PMID: 16223955.

14. Capek M, Literak I, Kocianova E, Sychra O, Najer T, Trnka A, Kverek P:
Ticks of the Hyalomma marginatum complex transported by migratory birds into Central Europe.
Ticks Tick Borne Dis. 2014 Sep;5(5):489-93. doi: 10.1016/j.ttbdis.2014.03.002. Epub 2014 Apr 29. PMID: 24877976.

15. Madani TA:
Alkhumra virus infection, a new viral hemorrhagic fever in Saudi Arabia.
J Infect. 2005 Aug;51(2):91-7. Epub 2005 Jan 11. PMID: 16038757

16. Rainer Oehme, Malena Bestehorn, Silke Wölfel, Lidia Chitimia-Dobler (2017):
Hyalomma marginatum in Tübingen, Germany.
Systematic & Applied Acarology 2017 22(1): 1–6.

17. Robert-Koch-Institut (RKI):
Internetseite über zeckenübertragene Erkrankungen mit Links zu Epidemiologie und weiteren Informationen.